Die Eigenheiten der Madeirenser

Wir leben noch nicht sehr lange auf Madeira, aber lange genug, um bereits einige Eigenheiten der Madeirenser zu kennen und (zum Teil) zu lieben. Die Insulaner sind bekannt für ihre Gastfreundschaft und Herzlichkeit und ihre Eigenheiten machen sie uns nur noch sympathischer.

Wenn man zum ersten Mal auf Madeira Auto fährt, wird man sich erst einmal an die oft kleinen, sehr steilen und kurvenreichen Strassen gewöhnen müssen. Die Einheimischen kennen diese natürlich gut und fahren dementsprechend schnell. Allerdings wird für Fußgänger an einem Zebrastreifen immer gehalten, egal wie schnell man unterwegs ist.
Der Blinker wird hier meistens nicht genutzt, nicht zum Abbiegen und nicht zum Überholen. Es gibt hier sogar die Redewendung: “pisca custa” (blinken kostet). Nur wenn ein Hindernis auf der Fahrbahn steht, an dem man vorbeifahren muss, dann wird immer geblinkt. So ein Hindernis ist meistens ein anderes Auto, da man hier gerne einfach überall am Strassenrand hält. Oft geschieht dies, um sich mit Jemandem zu unterhalten. Dieses Verhalten stört aber auch niemanden. Einfach Blinker an und vorbei fahren.
Im Kreisverkehr kann man direkt die Touristen von den Einheimischen unterscheiden. Während die Touristen schön um den Kreisverkehr fahren und regelkonform in ihrer Spur bleiben (meist gibt es zwei Spuren), fahren die Madeirenser weitestgehend geradeaus oder benutzen auf jeden Fall beide Spuren, egal wo sie wieder herausfahren wollen – natürlich ohne Blinker.
Vor allem was das Parken angeht, sind die Madeirenser wirklich gute Autofahrer. Sie können überall einparken und die kleinen Straßen sind nie ein Problem. Wir haben auf jeden Fall gelernt, daß Autos schmaler sind als man denkt …. bis jetzt hat es immer gepasst.

Zur Zeit wohnen wir ziemlich zentral in São Vicente und haben dementsprechend viel Kontakt zu Nachbarn. So haben wir schnell die unterschiedlichen Begrüßungen gelernt, die sich hier an den Zeiten orientieren. “Bom dia” (Guten Tag) wird nur morgens bis 12 Uhr benutzt, “Boa tarde” (Guten  Nachmittag) wird eigentlich den Rest des Tages benutzt, auch abends noch und “Boa noite” (Gute Nacht) nur wirklich spät abends, vor dem Schlafen gehen oder wenn es bereits dunkel ist.
Viele Häuser haben übrigens auch keine Klingel. Auch wir mussten uns erstmal dran gewöhnen, dass hier Nachbarn, Besuch oder der Paketdienst durch Rufe, Hupen oder Geklatsche auf sich aufmerksam machen.
Wir haben auch schon einige Erfahrungen mit der Post und den Paketdiensten gemacht. Wir haben uns beim Postboten und den Lieferanten vorgestellt, sodass sie wissen, wo die “Ausländer” wohnen. Die Post ist aber auf jeden Fall immer sehr lange unterwegs. Aus Deutschland oder den Niederlanden ist normale Post zwischen 2-4 Wochen unterwegs, da sie wahrscheinlich erst in Lissabon gesammelt wird, bevor ein Containerfrachtschiff den Weitertranspost nach Madeira übernimmt – und das kommt nur 1x die Woche.
Hier auf der Insel kann man auch nicht heute online bestellen und morgen hat man die Bestellung im Haus. Alles was vom Festland kommen muss, dauert und keiner kann genau sagen, wie lange. Anfangs haben wir uns noch darüber geärgert, aber mittlerweile haben wir uns damit abgefunden, daß die Vorfreude länge ist oder man schaut einfach nach anderen lokalen Produkten, die hier auf Madeira zu erwerben sind.
Die Kommunikation per Mail oder Telefon verläuft meist einseitig. Man erhält einfach keine Reaktion. Wenn man allerdings persönlich erscheint und von Angesicht zu Angesicht spricht, ist alles kein Problem und alle sind sehr behilflich.
Wir arbeiten noch daran, die digitale Welt, die man so schnell und einfach nutzt, wieder etwas mehr durch die alten, analogen und persönlichen Wege zu ersetzen.

und bei den Getränken muss man hier auf Madeira auf jeden Fall Kaffee, Wein und Poncha (kleiner alkoholischer Cocktail) erwähnen. Die Madeirenser lieben Kaffee, starken Kaffee, am liebsten trinken sie ihren Bica (wie Espresso). Der Bica wird immer und überall getrunken, auch gerne schnell im Stehen. Aber auch Wein oder Poncha findet man gerne und oft auf den Tischen, wobei die Uhrzeit oft egal ist. Von der 17 Uhr-Regel haben sie hier noch nichts gehört.
Was das Essen betrifft, ist man hier auf der Insel im allgemeinen auch nicht sehr experimentierfreudig. Natürlich gibt es in der Hauptstadt Funchal mehr verschiedene Angebote, aber die grosse Diversität an unterschiedlichen Essenskulturen sucht man hier vergeblich. Es gibt z.B. überhaupt kein griechisches Restaurant auf der gesamten Insel. Das typische Essen hier ist sehr pur, ohne viel Schnickschnack, meist bestehend aus Fleisch oder Fisch mit Gemüse, Kartoffeln und Salat. Man sollte meinen, dass die Portugiesen mit ihrer Entdecker- und Seefahrer-Vergangenheit mehr Einflüsse oder Produkte aus fernen Ländern übernommen hätten, aber Madeira ist natürlich eine Insel, die lange abgeschieden war und die Bevölkerung konnte sich nur von dem ernähren, was selber angebaut wurde. Das ist irgendwie bis heute grösstenteils so geblieben.
Wir persönlich lieben dieses pure Essen hier und geniessen vor allem die frischen, lokalen Produkte. Und aufgrund des milden Klimas wächst und gedeiht hier viel. Und wir haben ja auch schon von den Essen am Wochenende berichtet, wo die unterschiedlichsten Tiere geschlachtet und gekocht werden. Frischer und lokaler geht es nicht und das schmeckt man.

Eine Eigenheit, die wir weniger begrüssen, sind die Fernseher in allen Restaurants. Überall hängen die TV’s und sie laufen auch immer, zum Glück meist ohne Ton. Man findet die unterschiedlichsten Programme, oft wird gar nicht drauf geachtet was. Einmal haben wir sogar während des Essens eine Dokumentation auf National Geographic über Ungeziefer gesehen….
Man trifft sich gerne auf einen Kaffee, einen Poncha oder zum Essen, allerdings werden wir immer noch jedes Mal überrascht und überrumpelt. Wenn man sich verabredet ist das nicht für abends, oder morgen, oder irgendwann – es ist immer direkt. Es kommt sogar vor, dass die anderen bereits im Café oder Restaurant sitzen und warten. Für solche Fälle wird immer alles stehen und liegen gelassen, ob man nun gerade auf der Couch einen Film schaut, im Sportstudio ist, oder im Garten arbeitet. Wir haben schon öfter probiert, uns etwas weiter im Voraus zu verabreden, aber dann kriegen wir immer die gleiche Antwort: “Wer weiss denn, was nachher ist? Oder heute Abend? Geschweige denn morgen…”
Wir werden uns bestimmt noch dran gewöhnen.

Wir hatten in einem früheren Blog bereits schonmal erwähnt, dass die Portugiesen gerne reden. Da uns das immer wieder auffällt, müssen wir das auch hier bei den Eigenheiten nochmal hervorheben. Uns beiden ist es ein Rätsel, wie man so lange über (für uns) Belangloses reden kann. Oft redet in einer Gruppe nur einer und der Rest hört einfach zu. Wir beobachten dies fasziniert und versuchen jedes Mal so viel wie möglich zu verstehen.

Im Gegensatz zu den Niederländern reden sie hier allerdings nie übers Wetter. In den Niederlanden landet jedes Gespräch oder Small Talk irgendwann beim Wetter, egal ob zu warm, zu kalt, zu nass, zu trocken, übers Wetter kann man immer reden (und klagen).
Das haben wir hier noch nicht erlebt. Vielleicht, weil das Wetter hier sehr stabil ist und man einfach nicht so viel darüber sagen kann. Das Wetter wird hier so genommen, wie es ist. Aber uns als Neu-Einwohnern fällt zum Thema Wetter natürlich auf, dass die Madeirenser an gutes Wetter gewöhnt sind. Sobald es “nur” 19 Grad ist, oder wenn es etwas anfängt zu regnen, werden die Pullis und die Jacken ausgepackt, während wir noch ohne Probleme im T-Shirt laufen können.

Erwähnenswert ist auch noch das Thema Sicherheit. Madeira ist eine sehr sichere Insel, was gerade hier im Norden auffällt. Jeder kennt jeden, man kennt die Autos der Anderen, man weiss, wer wo wohnt, etc. All dies lässt überhaupt keine Art von Kriminalität aufkommen. Im Sportstudio legt jeder am Eingang einfach sein Handy, (Auto-)Schlüssel und/oder Portemonnaie auf ein Regal. In meinem letzten Sportstudio in den Niederlanden zahlte man Geld für ein Schliessfach! Auch im Café oder Restaurant liegen überall Wertsachen herum, ohne dass man Angst haben müsste. Vor kurzem mussten wir uns für einen Transport ein Auto von einem Freund leihen und für den Fall, dass dieser Freund unser Auto braucht, haben wir einfach den Schlüssel im Auto gelassen. Es ist sehr angenehm, dass man sich hier so sicher fühlen kann und einander vertraut.

Als letztes wollen wir noch die Faszination Rubbellose und Lotto erwähnen. Die Portugiesen lieben es und wir haben uns schon oft gefragt, was die langen Schlangen vor den Kiosken bedeuten.
Letztens gab es einen Zeitungsartikel, dass die Portugiesen (einschließlich Festland) in 2019  4,7 Millionen Euros am Tag für Rubbellose und Lottoscheine ausgegeben haben. Kein Wunder, dass vor den Kiosken Schlangen entstehen.

Dies sind natürlich nur einige Eigenheiten und alles unsere persönlichen Erfahrungen. Einige dieser Eigenheiten haben wir schon übernommen, teils unbewusst, aber teils auch sehr gerne.
Wir fahren (noch nicht) so schnell, wie die Einheimischen und benutzen immer brav unseren Blinker, allerdings haben wir uns sehr gut an die Strassenverhältnisse gewöhnt und Kreisverkehre werden á la Madeira gefahren.
Unsere Geduld und Gelassenheit ist auf jeden Fall gewachsen und wir nehmen es einfach hin, dass man nicht immer alles direkt kaufen oder bekommen kann. Es sind ja meist keine so wichtigen Sachen, auf die man nicht etwas warten könnte.
Ja, wir müssen gestehen, dass unser Alkoholkonsum gestiegen ist, seitdem wir auf Madeira leben, aber natürlich werden wir nie mit den Einheimischen mithalten können. Auch bei den langen Gesprächen werden wir immer eher Zuhörer sein und Rubbellose haben wir noch nicht gekauft. Und egal was wir eigentlich geplant hatten oder ob nun die Sonne scheint oder regnet, wir werden erstmal einen Bica trinken und den Augenblick geniessen …. wer weiss schon, was der restliche Tag bringt.